Umweltprojekte
Im Rahmen von Wildlife Insights lässt sich sowohl die Schönheit der biologischen Vielfalt als auch ihre Zerbrechlichkeit festhalten
„Wenn man durch einen tropischen Regenwald läuft, entgehen einem circa 90 % der Tiere dort“, sagt Jorge Ahumada, Tierschützer bei Conservation International. Aber auch wenn man die Tiere im südamerikanischen Dschungel, im australischen Busch oder in den nordamerikanischen Gebirgsregionen nicht sehen kann, so sind sie doch da. Sie verhalten sich nur ruhig und verstecken sich, bis die Menschen fort sind. Dann machen sie sich auf die Suche nach Beute.
Mithilfe von Kamerafallen (bewegungsgesteuerter Wildkameras), Google Cloud und KI-Modellen können Umweltschützer wie Ahumada Wildtiere an Orten wie dem Flussbecken Caño Cristales in Kolumbien beobachten. Dabei werden Aufnahmen von scheuen Ameisenbären, Jaguaren und Affen genutzt, um biologische Vielfalt zu messen und Arten zu studieren. Wildlife Insights, eine Initiative des Umweltschutzprogramms von Google Earth Outreach, wurde 2019 ins Leben gerufen, um den Zeitaufwand bei manuellen Aufgaben der Bildverarbeitung und -analyse zu reduzieren und Umweltschützer und Kommunen so zu entlasten. Dabei soll auch der Austausch von Forschern weltweit gefördert und ein Beitrag zum Artenschutz geleistet werden.
Auf der Plattform von Wildlife Insights können Umweltschützer ihre Bilder online teilen, auswerten und verwalten. Über die Wildlife Insights-Webanwendung hat jeder Zugriff auf diese weltweit größte Sammlung von Wildtieraufnahmen.
Schnellere Auswertung von Wildtieraufnahmen durch KI
Bei jedem Projekt zum Artenschutz, bei dem Bilder von Kamerafallen verwendet werden, besteht ein Großteil der Arbeit darin, Millionen von Bildern manuell zu sichten und die abgebildeten Tierarten zu identifizieren. Auf bis zu 80 % der Fotos sind gar keine Wildtiere zu sehen, weil die Kamera durch ein anderes Ereignis ausgelöst wurde, z. B. durch Gras, das sich im Wind bewegt. Oft kommt es vor, dass Aufnahmen sehr dunkel geraten oder Tiere sich hinter Bäumen oder Büschen verstecken und dadurch schlecht zu erkennen sind. Selbst wenn Tierarten erfolgreich identifiziert wurden, werden die Daten häufig nur im Rahmen des Projekts verarbeitet und nicht mit den anderen Umweltschützern auf der Welt geteilt.
Für Google ist es eine der wichtigsten Prioritäten, Unternehmen technologisch, methodisch und finanziell dabei zu unterstützen, sich für den Planeten einzusetzen. Mithilfe von Vorhersagen der Google Cloud AI Platform und einem individuellen KI-Modell, das von einem Team bei Google entwickelt wurde, kann Wildlife Insights die Bilder von Kamerafallen bis zu 3.000 Mal schneller klassifizieren als mit manuellen Methoden. Dabei werden 3,6 Millionen Fotos pro Stunde ausgewertet. Wildlife Insights kann mit einer relativ hohen Trefferquote automatisch vorhersagen, bei welchen der von Forschern hochgeladenen Aufnahmen keine Wildtiere zu sehen sind. Bei Fotos, auf denen Tiere zu sehen sind, hilft die KI, die verschiedenen Arten zu identifizieren. Forscher bestätigen oder korrigieren dann die Vorhersage des KI-Modells, was wiederum die Zuverlässigkeit des Modells erhöht.
Bei der Entwicklung der Identifizierungsalgorithmen wurden neun Millionen Fotos von den sechs Projektpartnern herangezogen: Wildlife Conservation Society, Smithsonian Conservation Biology Institute, North Carolina Museum of Natural Sciences, WWF, Zoological Society of London und Conservation International.
Google nutzte diese Wildtieraufnahmen als Trainingsdaten für die Konzeption von Modellen zur Artenbestimmung mit TensorFlow. Durch den Eingang neuer Daten wächst die Menge der Trainingsdaten ständig weiter an und aufgrund von technologischen Neuerungen bei Wildlife Insights können inzwischen noch mehr Arten auf diese Weise identifiziert werden. Die gesamte Plattform basiert auf der Google Cloud Platform und ist damit skalierbar.
Das Ergebnis ist, dass Wildlife Insights Daten von Arten aus verschiedenen Quellen kombiniert, den Zeitaufwand für die Ableitung aussagekräftiger Erkenntnisse verkürzt und zur Verbesserung der globalen Wildtierdaten auf Map of Life beiträgt. Wildtierforscher können dadurch besser einschätzen, wie weit Arten verbreitet sind, wo sie sich aufhalten und wie sie sich von Ort zu Ort bewegen. Auf der Basis dieser Erkenntnisse können politische Verantwortungsträger entscheiden, wo und wie die Grenzen von Schutzgebieten geändert werden sollten. Wir hoffen, dass in Zukunft jeder Naturliebhaber, der eine Kamerafalle in seinem Garten hat, entsprechende Daten übermitteln kann, um die Wissenschaft voranzubringen.
Ahumada hat den Wert eines Fotos als empirischen Beweis im Zuge einer eigenen Erfahrung schätzen gelernt. In einem Wald in Kolumbien, wo er Klammeraffen untersuchte, sah Ahumada einen Buschhund, aber es gab keine Aufzeichnungen darüber, dass diese Art dort existierte, und niemand nahm seine Beobachtung ernst. Zwanzig Jahre später rief er Daten aus einem Netzwerk von Kamerafallen ab, die in einem Wald mit ähnlichen Bedingungen aufgestellt waren. Zu seiner Überraschung fand er eine Aufnahme derselben Hundeart, die er vor so vielen Jahren gesehen hatte, und damit einen konkreten Beweis, dass sie tatsächlich in diesem Wald lebten.
Auf der Suche nach Anzeichen von Erholung nach den australischen Buschbränden
Fast drei Milliarden Tiere waren von den Buschbränden betroffen, die im Sommer 2019 und 2020 in Australien wüteten. Wildlife Insights hat australische Umweltschutzgruppen wie den World Wide Fund (WWF) for Nature Australia dabei unterstützt, Fotos von Kamerafallen aus den betroffenen Regionen hochzuladen und zu teilen, um sich ein klareres Bild davon zu machen, wie es der australischen Tierwelt nach den Bränden geht. Seit Anfang 2021 wurden in den betroffenen Gebieten mehr als 600 Kamerafallen aufgestellt. Mithilfe von Wildlife Insights soll nun herausgefunden werden, welche Arten in ihre zerstörten Lebensräume zurückkehren.
Darren Grover, Leiter der Abteilung „Healthy Land and Seascapes“ beim WWF-Australia, hat die ersten 100 Kameras auf der Känguru-Insel in Südaustralien aufgestellt, unter anderem, um nach Anzeichen für die Känguru-Insel-Schmalfußbeutelmaus zu suchen, einem kleinen, grauen, nachtaktiven Beuteltier, das von Forschern oft nicht entdeckt wird. Da dieses Tier anderen Mäusen sehr ähnlich sieht, mussten Umweltschützer wie Grover früher Hunderte von Bildern manuell überprüfen, um es sicher zu identifizieren.
Glücklicherweise hat eine der Kameras eine Schmalfußbeutelmaus aufgenommen. „Jeder, der Tausende von Urlaubsfotos besitzt, weiß, wie mühsam und zeitaufwändig das Sortieren und Organisieren von Unmengen von Bildern und Filmmaterial sein kann“, so Grover. „Bei der herkömmlichen Analyse von Kamerasensorbildern ist Fachwissen erforderlich, um zu bestimmen, welche Bilder am besten sind und welche man einfach löschen kann. Es kann vorkommen, dass man sich Hunderte von Bildern ohne Wildtiere ansehen muss, bevor man fündig wird.“
Mit Wildlife Insights können Forscher wie Grover ihre Bilder hochladen, Hunderte von Arten wie die Schmalfußbeutelmaus rasch identifizieren und Bilder ohne Wildtiere schnell aussortieren. Grover erklärt: „Anhand dieser Bilder werden wir besser feststellen können, welche Arten in Gebieten von Buschbränden überlebt haben und wo Wiederherstellungsmaßnahmen am nötigsten sind.“
Wettlauf gegen die Zeit und die Zerstörung von Lebensräumen
In den Wäldern, Bergen und Küstengewässern, in denen Wildtiere zu Hause sind, scheint die Zeit langsam zu vergehen. Doch Forscher wie Angélica Diaz Pulido vom Instituto Humboldt, die mit Ahumada in den kolumbianischen Regenwäldern arbeitet, wissen, dass die Zerstörung der Lebensräume schneller voranschreitet, als den Menschen im Allgemeinen bewusst ist. Deshalb ist es dringend notwendig, die über Wildlife Insights ausgetauschten Felddaten zu analysieren und zu teilen.
„Zu den wichtigsten Herausforderungen, mit denen wir Biodiversitätsforscher konfrontiert sind, gehört es, Forschungsarbeiten möglichst schnell durchzuführen und die Ergebnisse zeitnah an Entscheidungsträger weiterzuleiten“, erklärt Diaz Pulido. „Wenn man etwas so Einmaliges wie das Flussbecken Caño Cristales entdeckt, wird einem einfach bewusst, wie fragil es ist.“ Mithilfe von Wildlife Insights und der Technologie von Google können Umweltschützer wie Diaz Pulido dazu beitragen, die Schönheit der Arten zu erhalten.
Hero-Image eines Jaguars (Panthera onca) von Emmanuel Rondeau / WWF France, tief im Naturreservat Nouragues, Französisch-Guyana, fotografiert. Das Foto wurde mit einer Kamerafalle aufgenommen (Spiegelreflexkamera).
Foto von Waldhunden: Mit freundlicher Genehmigung von Missouri Botanical Garden, TEAM Network