Umweltprojekte
Grenzenlose Transparenz: Global Fishing Watch verändert das Fischereimanagement
Die Revillagigedo-Inseln vor Mexiko sind "der wildeste Ort im tropischen Nordamerika", sagt Meeresforscher Enric Sala. "Sie sehen aus wie ein mexikanischer Ableger der Galapagosinseln."
In den Gewässern zwischen den vier Vulkaninseln des Archipels leben verschiedene Haie und Riesenmantas. Die Rochen können eine Spannweite von sieben Metern erreichen – damit sind sie breiter als eine Giraffe groß ist. Doch Sala beschreibt sie als freundlich und neugierig. Das macht sie besonders für die Taucher in der Gegend interessant. Auch Thunfische, Zackenbarsche, Delfine, Buckelwale und fünf verschiedene Arten von Meeresschildkröten sind in dieser faszinierenden Unterwasserwelt zu Hause.
Ein solches Ökosystem begeistert Umweltschützer wie Sala, der als Executive Director der National Geographic-Initiative Pristine Seas für den Erhalt der letzten wilden Meeresgebiete kämpft. Sala und sein Team untersuchten 2016 das Gewässer um die Revillagigedo-Inseln und trugen zahlreiche wissenschaftliche Daten zusammen, die das Potenzial der Inselgruppe als Meeresreservat belegen. Das bedeutet, dass dort eine Sperrzone mit einem Fangverbot und einem Verbot der Rohstoffgewinnung eingerichtet werden könnte.
Allerdings ist ein gesetzlicher Schutz des Gebiets schwierig, da dort verschiedene Interessen wie ein gesundes Ökosystem, die Nahrungsmittelsicherheit und die wirtschaftlichen Aspekte der Fischerei aufeinanderprallen. In der Regel gelingt es der kommerziellen Fischereibranche mit wirtschaftlichen Argumenten Fangverbote abzuwenden.
Dank Global Fishing Watch (GFW) hat sich das jetzt geändert.
Mithilfe der Plattform und des Trackingsystems von GFW konnten die Initiative Pristine Seas und ihre Forschungspartner die Fanggebiete und das Verhalten der kommerziellen Fischereiflotten in den mexikanischen und internationalen Gewässern nachverfolgen. Anhand dieser Daten konnte die mexikanische Regierung nachvollziehen, wer wo und wie oft aktiv war. Diese Informationen halfen dann dabei, die Behauptungen der Fischereibranche zu widerlegen.
"Dank der Unterstützung von Global Fishing Watch konnten wir genau sehen, wo die verschiedenen Flotten fischten", erklärt Sala, der 2018 einen TED Talk zu den wirtschaftlichen Aspekten der Fischerei präsentierte. "Als die mexikanischen Fischer behaupteten, sie würden den meisten Thunfisch dort fangen, konnten wir diese Aussagen anhand der Daten widerlegen. Die Zusammenarbeit mit GFW brachte den Umschwung für uns, da wir bei Verhandlungen zum ersten Mal transparente Daten vorlegen konnten."
Größere Transparenz auf den Weltmeeren
Der Einsatz von Daten zur Analyse wichtiger Probleme und zur Unterstützung einer fundierten Entscheidungsfindung hat bei Google schon lange Priorität. 2014 übertrug unser Earth Outreach-Team diese Prinzipien auf den Meeresschutz und entwickelte zusammen mit Oceana und SkyTruth die Plattform GFW. Wir wollten einen besseren Überblick über die weltweiten Aktivitäten der kommerziellen Fischerei bieten, um wichtige Meeresgebiete zu schützen und mithilfe neuer Tools für ein nachhaltiges Fischereimanagement zu sorgen. Bei der Konferenz „Our Ocean“, die der US-amerikanische Außenminister John Kerry 2016 veranstaltete, stellten wir GFW vor, eine öffentliche, interaktive Plattform, die einen Überblick über die etwa 60.000 größten industriellen Fischereifahrzeuge weltweit bot. Auf einer Online-Karte kann jeder Nutzer die Fischereiaktivitäten nahezu in Echtzeit verfolgen. Die ältesten Daten stammen von 2012, die neuesten sind drei Tage alt.
In den letzten beiden Jahren haben Regierungen, Forscher und Fischereiorganisationen GFW für völlig neue Zwecke genutzt: Sie haben neue Meeresreservate geschaffen, lokale Fischereiindustrien unterstützt und sogar Schiffe identifiziert, die Zwangsarbeiter beschäftigen.
Die Lage könnte kaum verheerender sein. Mehr als 3,1 Milliarden Menschen weltweit decken 20 % ihres Bedarfs an tierischem Eiweiß über den Verzehr von Fisch ab. Außerdem stützt die Fischerei die Wirtschaft in Dutzenden Ländern. Aber fast 90 % der Fischbestände weltweit sind überfischt oder bis an ihre Grenzen befischt. Außerdem sind beinahe 15 % der Fänge weltweit illegal, undokumentiert und unreguliert (IUU).1
So funktioniert GFW: Zu jedem Zeitpunkt melden etwa 300.000 Schiffe öffentlich ihre Position auf dem Meer. Dazu verwenden sie die Daten aus ihrem AIS (Automatic Identification System), einem GPS-ähnlichen Identifikations- und Sicherheitssystem für die Schifffahrt, mit dem Kollisionen verhindert werden sollen. Auf der GFW-Plattform werden diese und andere Datenquellen – mehr als 60 Millionen Informationsquellen pro Tag – mithilfe von Klassifizierungssystemen mit Algorithmen für das maschinelle Lernen analysiert. So wird anhand der Bewegungsmuster ermittelt, welche Schiffe Fangschiffe sind, welche Ausrüstung sie verwenden (z. B. Langleinen, Ringwadennetze oder Schleppnetze) sowie wann und wo sie fischen.
Organisationen können diese Daten nach Belieben verwenden und viele nutzen diese Möglichkeit auch in vollem Umfang. "Inzwischen ändern sogar Forschungslabors und Behörden ihren Ansatz für das Fischereimanagement", berichtet Brian Sullivan, Mitgründer von GFW und Senior Program Manager.
Kampf gegen Piraterie auf hoher See
Die indonesische Ministerin für Meeresfragen und Fischerei, Susi Pudjiastuti, nutzt GFW-Daten, um die illegale Fischerei in Hoheitsgewässern zu unterbinden.
Pudjiastuti war bereits für ihr rigoroses Vorgehen bei der Durchsetzung der Fischereivorschriften bekannt – seit 2014 hat sie über 380 Schiffe versenken lassen, die gegen die lokalen Fischereigesetze verstoßen hatten. 2017 entschied sie sich zu einem weiteren entscheidenden Schritt: Indonesien war das erste Land, das sein eigenes Vessel Monitoring System (VMS), ein automatisches satellitengestütztes Überwachungssystem, für GFW öffentlich zugänglich machte.
Der Einsatz von AIS ist auf allen Fischereifahrzeugen mit mehr als 300 Tonnen Pflicht, aber die Vorschriften für kleinere Schiffe hängen vom jeweiligen Land ab. Indonesien verlangt VMS auf Fischereifahrzeugen ab 30 Tonnen Ladevolumen. Damit erschienen weitere 5.000 kleinere Schiffe für den kommerziellen Fischfang auf der GFW-Karte.
GFW hat zwei Jahre lang eng mit verschiedenen Verantwortlichen der indonesischen Regierung zusammengearbeitet. Die VMS-Daten wurden analysiert und verarbeitet, um nachzuvollziehen, was der Regierung wichtig war. Dank der Zusammenarbeit bekam Indonesien einen besseren Überblick über indonesische Schiffe, die länger als die zulässigen drei Monate fischten oder in Regionen arbeiteten, für die sie keine Lizenz hatten. All diese Informationen konnten sie den gemeldeten Positionen und den Bewegungsmustern der Schiffe entnehmen.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die enge Verknüpfung von Politik und Daten in Indonesien Früchte trägt. Die Zahl der ausländischen Fischereifahrzeuge in indonesischen Gewässern ist um mehr als 90 % gesunken und die Fischerei insgesamt um 25 % zurückgegangen. Laut den Prognosen haben die Fischbestände so die Möglichkeit, sich zu erholen, was sich positiv auf die indonesische Fischereiwirtschaft auswirken könnte.2
Unsere Partnerschaft mit Indonesien war das erste von mehreren gemeinsamen Projekten, die GFW 2017 und 2018 mit diversen Regierungen durchgeführt hat. Pudjiastuti gab 2017 auf der UN Ocean Conference die öffentliche Freigabe der indonesischen VMS-Daten bekannt und rief andere Länder auf, ihrem Vorbild zu folgen. Peru entschied sich noch auf der Konferenz zur Datenfreigabe und Costa Rica folgte im Mai 2018.
Zum Tag des Meeres am 8. Juni 2018 veröffentlichte GFW zwei neue Datenschichten, die das Ausmaß der Fischerei noch besser verdeutlichen: die erste globale Live-Übersicht von wahrscheinlichen Transshipping-Positionen und Nachtaufnahmen, mit denen Schiffe, die nachts arbeiten, leichter identifiziert werden können. Als Transshipping wird die illegale Praktik bezeichnet, den Fang auf See auf ein anderes Schiff umzuladen, um die Quelle des Fangs zu verschleiern und illegale Fischerei, Schmuggel und sogar Zwangsarbeit zu vertuschen. Die Nachtaufnahmen wurden in Zusammenarbeit mit der National Oceanic and Atmospheric Administration der USA entwickelt. Dabei werden die Satellitenaufnahmen der Visible Infrared Imaging Radiometer Suite (VIIRS) analysiert, um etwa 20.000 Schiffe zu identifizieren, die nachts keine AIS-Daten übertragen. Anhand der Aufnahmen gewinnen Forscher neue Erkenntnisse zu Fischereigründen und kleineren Schiffen, die bisher nicht von GFW erfasst wurden.
Ökonomische und ökologische Vorteile eines Fischereiverbots
In vielen Fällen nutzen Organisationen GFW eher für die Forschung, statt um Vorschriften durchzusetzen. Bei ihrem Einspruch gegen ein Meeresreservat um die Revillagigedo-Inseln argumentierte die mexikanische Thunfischindustrie, dass der lokale Thunfischfang durch ein Fangverbot im Archipel um 20 % zurückgehen würde. Dadurch würden Tausende Arbeitsplätze verloren gehen und der Preis für Thunfisch auf dem Festland drastisch ansteigen.
Die Initiative Pristine Seas arbeitete mit GFW zusammen, um Fakten zur Fischerei bei den Revillagigedo-Inseln zu sammeln. Laut der GFW-Daten stammten fast 75 % des Thunfischfangs mexikanischer Schiffe aus internationalen Gewässern, fern des Festlands. Weniger als 4 % wurden tatsächlich um die Revillagigedo-Inseln herum gefangen.
Diese Forschungsergebnisse trugen maßgeblich dazu bei, dass die Verantwortlichen eine fundierte Entscheidung zur Zukunft der Revillagigedo-Inseln treffen konnten. Die Inseln wurden 2017 offiziell zu einem ca. 148.000 Quadratkilometer großen Nationalpark mit Sperrzone und Fangverbot erklärt. Sie sind damit eins von fünf Reservaten mit einer solchen Sperrzone, zu deren Gründung Pristine Seas in den letzten zwei Jahren mithilfe von GFW-Daten beitragen konnte.
Forscher prognostizieren anhand von GFW-Daten auch das Potenzial des Fischereimanagements. Ein Team der University of California, Santa Barbara, analysierte GFW-Daten, um sich einen umfassenden Überblick über die IUU-Fischerei in Indonesien zu verschaffen. Es konnte auf diese Weise nachweisen, dass eine Eindämmung der IUU-Fischerei und eine Beschränkung des jährlichen Fischfangs auf ein nachhaltiges Höchstniveau bis 2035 zu einer Steigerung des Fangs um 14 % führen würde. Gleichzeitig könnten die Einnahmen um 15 % gesteigert werden – ohne kurzfristige Einbußen bei den Umsätzen zu verursachen.3
Christopher Costello, Professor an der UC Santa Barbara, arbeitet außerdem eng mit Sala zusammen, um neue Verwendungszwecke für GFW-Daten zu erschließen. Dazu gehört unter anderem die Begutachtung des Fischbestands in Bezug auf die Befischung der jeweiligen Region. "Wir sind der Ansicht, dass wir mithilfe von GFW die Bestände aus dem All begutachten können", sagt Costello. "Fischer wissen genau, wo sie nach Fisch suchen müssen. Wir können ihre Bewegungen praktisch in Echtzeit beobachten und dadurch den Zustand der Fischbestände weltweit besser beurteilen."
GFW nutzt die Begeisterung der Experten, um auch andere von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Die Partnerschaften helfen GFW, die Fischbestände für die nächsten Generationen zu schützen und zu erhalten.
"Wir können unser Fachwissen in Bezug auf Big-Data-Analysen und maschinelles Lernen mit Organisationen aus den Bereichen Fischereiwissenschaft und -politik teilen", sagt Sullivan von GFW. "Bei unserer Gründung im Jahr 2016 sprachen alle nur über die Technologie. Knapp zwei Jahre später werden Algorithmen für maschinelles Lernen fast als selbstverständlich angesehen und die Diskussionen drehen sich verstärkt um die Auswirkungen auf Wissenschaft, Politik und die Welt im Allgemeinen."
Das Hero-Image zeigt die Revillagigedo-Inseln, die einen der weltweit größten Bestände an Haien und Riesenmantas haben. Bildnachweis: Enric Sala/National Geographic
1 Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, "The State of World Fisheries and Aquaculture: Contributing to Food Security and Nutrition for All" (Der Zustand der weltweiten Fischerei und Aquakultur: Ein Beitrag zur Lebensmittelsicherheit und Ernährung für alle), 2016, https://www.fao.org/3/a-i5555e.pdf
2 Reniel B. Cabral et. al., "Rapid and Lasting Gains from Solving Illegal Fishing" (Schnelle und nachhaltige Erfolge durch Verhinderung der illegalen Fischerei), Nature Ecology & Evolution, März 2018, https://www.nature.com/articles/s41559-018-0499-1
3 Siehe Hinweis 2 oben.