Umweltprojekte

Das Unsichtbare kartografieren: Street View-Autos messen die Luftverschmutzung

Oktober 2017
Hardware für Project Air View

Die USA werden von rund zwei Millionen Kilometern an Erdgasleitungen durchzogen. Es gibt sie also praktisch überall dort, wo auch Menschen sind. Tritt ein Leck auf, stellt das entweichende Methan – der Hauptbestandteil von Erdgas – eine enorme Treibhausgasquelle dar. Der kurzzeitige Erwärmungseffekt ist 84-mal stärker als bei Kohlendioxid.1 Mit den bestehenden Methoden kann es allerdings zeitaufwendig sein, diese Lecks zu finden und zu analysieren. Energieversorger sind in den USA per Gesetz verpflichtet, Lecks umgehend zu schließen, wenn sie ein Sicherheitsrisiko darstellen. Allerdings gibt es Tausende Lecks, die nicht als gefährlich gelten und so werden sie oft monate- oder sogar jahrelang nicht beseitigt.

Darum arbeitete der US-amerikanische Environmental Defense Fund (EDF) gemeinsam mit Joe von Fischer, Wissenschaftler an der Colorado State University, an der Entwicklung einer Technologie, mit der man die Methankonzentration von einem fahrenden Auto aus messen kann. Ziel war es, Gasversorgern, Aufsichtsbehörden und anderen das Ausmaß des Problems besser zu vermitteln und kosteneffiziente Lösungen dafür zu finden. Erste Tests waren vielversprechend, sodass der EDF beschloss, das Projekt auf weitere Standorte auszuweiten.

Hier kam Google ins Spiel. Denn für ein Projekt dieser Größenordnung braucht man die richtige Infrastruktur: Rechenleistung, sichere Datenspeicherung und vor allem eine ganze Flotte von Street View-Autos. Unsere Fahrzeuge waren, ausgestattet mit Präzisions-GPS, schon fast überall unterwegs, um 360°-Bilder für Google Maps aufzunehmen. Bei dieser Gelegenheit könnte man ja vielleicht auch den Methangehalt in der Luft messen. Karin Tuxen-Bettman von Google Earth Outreach dazu: "Wir glaubten, dass wir das Potenzial hatten, unsere Street View-Flotte in eine Umweltmessstation zu verwandeln."

EDF-Methankarte mit Gaslecks in Boston
EDF-Methankarte mit Gaslecks in Boston

Die Street View-Autos fahren jedes Gebiet mindestens zweimal ab, um verlässliche Daten zur Luftqualität zu sammeln. Dabei werden mit einem an der vorderen Stoßstange montierten Ansaugrohr Luftproben genommen, die von einem Methan-Analysegerät2 im Kofferraum verarbeitet werden. Die Daten werden dann zur Analyse an die Google Cloud gesendet und auf eine Karte übertragen, auf der Position und Größe der Gaslecks zu sehen sind. Seit dem Projektstart im Jahr 2012 hat der EDF Methankarten für 11 Städte in den USA erstellt und mehr als 5.500 Gaslecks gefunden. Die Ergebnisse reichen von einem Leck pro gefahrenen eineinhalb Kilometern, wie beispielsweise in Boston, bis hin zu nur einem Leck etwa alle 300 Kilometer, wie in Indianapolis. Dort wurden alle korrodierenden Stahl- und Eisenrohre durch Kunststoffrohre ersetzt.

Jeder kann auf seinem Smartphone die Wettervorhersage abrufen. Aber was wäre, wenn man auch Informationen zur Luftqualität der Straße hätte, in der man gerade unterwegs ist?

Karin Tuxen-Bettman

Die Methankarten helfen Gasversorgern dabei, Ressourcen effizienter für Reparaturen und langfristige Verbesserungen einzusetzen. PSE&G, einer der größten Energieversorger in New Jersey, bat den EDF und Google bei einem Projekt zum Austausch von Gasleitungen um Unterstützung. Die Kosten dafür beliefen sich damals auf ca. 800 Millionen €. Dabei bezieht das Unternehmen die Daten zur Größe der Gaslecks in die eigenen Dringlichkeitsverfahren ein, um bis zu 820 Kilometer an alten Gasleitungen zu ersetzen. So lässt sich der Prozess beschleunigen und PSE&G profitiert von niedrigen Gaspreisen. Die monatlichen Kosten steigen so über vier Jahre nur um 1,5 % jährlich.3

In der Street View-Werkstatt finden Tests, Wartungen und andere Arbeiten statt.
In der Street View-Werkstatt finden Tests, Wartungen und andere Arbeiten statt.

Dieser vielversprechende Start ermutigte das Team, das Projekt weiter auszubauen. Man wollte jetzt auch die allgemeine Luftqualität mithilfe der Street View-Autos messen. Schon seit mehreren Jahren analysiert Google in Zusammenarbeit mit Aclima, einem Entwickler von Umweltsensornetzen, das Raumklima in seinen Büros. 2014 brachten wir das Projekt auf die Straßen: Mehrere Street View-Autos wurden mit der mobilen Plattform "Environmental Intelligence" (Ei) ausgestattet. Diese enthält wissenschaftliche Analysegeräte und eine Reihe kleiner, kostengünstiger Sensoren zur Messung von Schadstoffen wie Feinstaub, Stickstoffdioxid, Kohlendioxid und Ruß. Nach einem Pilotprojekt in Denver wurden bis Ende 2016 weitere Städte in drei Regionen Kaliforniens in die Karte aufgenommen. Heute liefert das System verlässliche Daten, die mit denen des stationären Messnetzes der US-Umweltschutzbehörde übereinstimmen.

Ein Google Street View-Auto ist mit Geräten zur Messung der Luftverschmutzung ausgestattet.
Ein Google Street View-Auto ist mit Geräten zur Messung der Luftverschmutzung ausgestattet.

Dank der mobilen Plattform von Aclima ist bereits jetzt einer der größten Datensätze zur Qualität unserer Luft entstanden. Das Projekt, das mit ein paar Autos begann, könnte in Zukunft auch auf Fahrzeuge wie Busse oder Postautos ausgeweitet werden, um so eine Karte zur Luftverschmutzung für einzelne Straßen zu erstellen. Mithilfe dieser hyperlokalen Daten könnten Menschen sich besser informieren. So wüßten sie beispielsweise, wann ihre Kinder draußen spielen können und wann nicht und wie eine bessere Luftqualität an ihrem Wohnort erreicht werden kann.

"Jeder kann auf seinem Smartphone die Wettervorhersage abrufen", meint Karin Tuxen-Bettman. "Aber was wäre, wenn man auch Informationen zur Luftqualität der Straße hätte, in der man gerade unterwegs ist?" Es sind solche Fragen und die daraus entstehenden Projekte und Partnerschaften, die dazu beitragen, dass wir die Welt immer wieder mit anderen Augen sehen und versuchen, sie besser zu machen.

1 https://www.edf.org/media/edf-partners-google-earth-outreach-map-natural-gas-leaks-under-us-city-streets

2 Methan-Analysegerät von Picarro und Los Gatos Research

3 https://www.pseg.com/info/media/newsreleases/2015/2015-11-16.jsp#.WDMUlJgrJAY